überlebt.

Der Last des grenzenüberschreitenden Neuen, des vielleicht perfekten Konzepts, dem Endpunkt aller Kunst gar, muss sich heute kein Werk mehr unmittelbar stellen und doch hallt diese Forderung nach, während die einst unerhört wirkenden Verweise in der frühen Postmoderne heute eher wie Werkzeuge erscheinen, derer man sich bedient. Doch weit lauter spricht noch das große Ich der Moderne aus der Kunst.
Selten sah ich es so dezidert zugleich witzig und melancholisch repräsentiert wie in Wolfgang Vollmers Ausstellung ›überlebt.‹ im kjubh. Wir sehen eine Reihe dokumentarischer, ja mitunter geradezu emblematischer Aufnahmen bekannter Persönlichkeiten, Canned Heats Alan ›Blind Owl‹ Wilson auf der Bühne von Woodstock eröffnet den Reigen. Während sein Gesicht noch von seiner Mundharmonika verdeckt ist, lassen die anderen Portraits doch bald erkenenen, dass uns aus jedem Einzelnen der Künstler selbst anblickt, als Graf Berghe von Trips, Chargesheimer, Lennon, Flaubert, Kippenberger, ja Jesus gar. Es ist ein Reigen des Todes, oder nein, eigentlich des überlebt habens, geordnet danach, zu welchem Datum in Vollmers Leben er die Lebenszeit der Dargestellten übertraf. Was im ersten Moment als garstig erscheint, erweist sich in den meisten Fällen als das Gegenteil. Die Auswahl lässt darauf schließen, dass Vollmer einen großen Teil der Dargestellten würdigt, bewundert vielleicht. Er relativiert nicht sie, sondern sich, der zwar optisch mitunter frappierend ihre Pose einnehmen kann, aber trotz einer eigenen, erstaunlichen Vita als (meist) fotografierender Künstler, Sammler und Kenner der Fotografiegeschichte, bleibt seine Pose Tribut und Anmaßung zugleich. Er misst sich, wo er um seinen eigenen Platz weiß und manch trauriger, ernster Blick aus den Bildern hängt einem nach. Das große Ich wird zu einem kleinen. Aber nicht nur dies, sondern es gewinnt Gestalt, statt sich nur im White Cube selbst zu behaupten und dies heutzutage doch nie so eindeutig zu dürfen, wie etwa ein Popstar, berichtet Vollmer auch von den Ichs, die in ihm sind, ihn auf diese oder jene Weise beschäftigen, vielleicht prägten. Eine Ausstellung, die lange nachklingt.

Oliver Tepel
März 2018

in: www.koelngalerien.de; News Marz 2018

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überlebt.
Softcover, 36 Seiten, 21x15 cm
Eigenverlag, Auflage 50, Köln 2015


Ausstellungen, u.a. :

Fotohof Salzburg, 2021
kjubh, Köln, 2018
Inside Rembrandt, Wallraf-Richartz-Museum, Köln 2019
Unter Freunden und Konkurrenten, Kunsträume Michael Horbach Stiftung, Köln 2018

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Ausstellung Kjubh, Köln 2018

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Ausstellung Kjubh, Köln 2018

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Ausstellung Fotohof Salzburg © Fotohof 2021

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Ausstellung Fotohof Salzburg © Fotohof 2021

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